"Der neue Premierminister wird versuchen, Änderungen an Theresa Mays Deal zu verhandeln. Gelingt ihm das, wird sein Ziel sein, bis zu diesem Zeitpunkt einen überarbeiteten Deal durch das Parlament zu bringen. Gelingt es ihm nicht, werden er und das Parlament damit konfrontiert sein, die gleichen Entscheidungen treffen zu müssen, wie unter der Führung von Theresa May.
Das Risiko eines No Deal-Brexit mag gestiegen sein, aber es gilt als sicher, dass das Parlament versuchen wird, ein solches Ergebnis zu vereiteln. Auch die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen ist gestiegen. Der weitere Weg bleibt also genauso unsicher und unvorhersehbar wie bisher. Letztendlich bleiben die Optionen die gleichen – unabhängig von den Zwischenschritten und davon, wer auch immer Premierminister ist oder welche Partei in der Regierung ist: Brexit mit oder ohne Abkommen oder in der EU bleiben.
Interessanter könnte Johnsons Einstellung zu finanzwirtschaftlichen Impulsen und Steuern sein. Auf Basis der nur sehr eingeschränkten Informationen während seiner Kampagne, ist es wahrscheinlich, dass Johnson einen Wirtschaftsimpuls schafft - finanziert durch höhere Staatsverschuldung und niedrigere Steuern. Brexit oder nicht: Der mittelfristige Ausblick für britische Staatsanleihen bei den heutigen extrem niedrigen Renditen ist bedenklich, selbst wenn die Bank of England die Zinsen senken und die geldpolitische Lockerung wieder aufnehmen sollte. Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben sind ein Rezept für weitere Gewinne an den Aktienmärkten, aber die Kursentwicklung des Pfund Sterling und die Entwicklungen der Brexit-Verhandlungen werden eine ebenso wichtige Rolle spielen.
Es ist zu früh, um über längerfristige Folgen nachzudenken und darüber, wie sich die vielen Unsicherheiten entwickeln werden. Wie wir seit dem Referendum 2016 gesehen haben, können globale Entwicklungen für die zukünftige Renditeentwicklung britischer Vermögenswerte noch wichtiger sein als der Brexit.“
"Boris Johnson erbt das zerstrittene britische Parlament und die Gegnerschaft der resoluten EU-Führung, die bereits Theresa May zu Fall gebracht haben. Wie das Brexit-Rätsel gelöst werden soll, bleibt ungewiss.
"Es ist Boris", wurde sinngemäß auf dem Kongress der Konservativen Partei am Dienstag verkündet. Mit 66 Prozent der Stimmen wurde Boris Johnson zum neuen Parteichef gewählt und wird damit am Mittwoch als Premierminister des Vereinigten Königreichs vereidigt. Dies erwies sich als eines der seltenen Ereignisse im Brexit-Prozess, bei dem sich Erwartungen in Realität wandelten. Jetzt geht es zurück auf das Terrain des Unerwarteten und Unvorhersehbaren – die Brexit-Realität. Die Volatilität in Politik und Kapitalmärkten dürfte somit bestehen bleiben, was weiter auf den Vermögenspreisen in Großbritannien lasten dürfte.
Wird ein ungeordneter (No-Deal-) Brexit ohne Verhandlung unter einem selbsternannten Brexit-Hardliner als neuem Premierminister wahrscheinlicher? Wir glauben nicht, denn der neue Premierminister wird im Parlament mit den gleichen Einschränkungen konfrontiert sein wie der vorherige: Es mangelt selten an Mehrheiten, die gegen etwas stimmen, dafür regelmäßig an Mehrheiten, die für etwas stimmen. Zum Missfallen von Boris Johnson gibt es zumindest eine Mehrheit gegen einen No-Deal-Brexit. Die Mehrheit seiner Regierungskoalition ist hingegen noch dünner geworden. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass sich die Europäische Union (EU) nicht allzu sehr von den Drohungen Johnsons beeindrucken lässt. Ein weiterer Grund könnte sein, dass sich die EU jetzt besser auf einen No-Deal-Brexit vorbereitet fühlt, da in den vergangenen Monaten Vorbereitungen getroffen wurden, um die Auswirkungen eines solchen Ausgangs zu verringern.
Johnson bleibt nur ein Tag im Parlament, bevor die Abgeordneten in die Sommerpause gehen, um sein neues Kabinett zu bilden. Viele Positionen dürften aufgrund des Rücktritts wichtiger Politiker offen sein, die eine Johnson-Regierung nicht unterstützen wollten: Finanzminister Philip Hammond, Entwicklungsminister Rory Stewart, Junior-Außenminister Alan Duncan oder Kulturministerin Margot James. Zwar wird Johnson die Brexit-Verhandlungen verantworten, doch die Zusammensetzung der Regierung könnte Hinweise auf seinen Verhandlungsansatz geben – konziliant oder konfrontativ.
Während des Wahlkampfs fuhr Johnson eine harte Linie und forderte die Streichung der Backstop-Klausel im Austrittsabkommen. Andernfalls gäbe es einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober, egal unter welchen Umständen (whatever it takes). Die EU hat jedoch glaubwürdig signalisiert, dass sie nicht bereit ist, das Abkommen aufzuschnüren, und wird die Wünsche Irlands nach einer Backstop-Lösung weiterhin unterstützen. In den zurückliegenden drei Jahren hat sich die EU als der besser vorbereitete, erfahrenere und konsequentere Verhandlungspartner erwiesen. Dies wurde vom Vereinigten Königreich permanent unterschätzt. Zu allem Überfluss geht das britische Parlament vom 25. Juli bis zum 3. September in Sommerpause, was wenig Zeit für konstruktive Vorbereitungen lässt.
Ohnehin wird auch das Parlament den Plänen Johnsons im Weg stehen. Einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober durch Suspendierung des Parlaments zu erzwingen, haben die Parlamentarier mittels Beschluss nahezu unmöglich gemacht. Eine Neuverhandlung des irischen Backstops ist nur mit Parlament möglich. Könnte sich Johnson in Neuwahlen flüchten? Damit riskierte er den Verlust der Tory/DUP-Mehrheit, da sich die EU-Anhänger an Labour oder die Liberal Democrats (UK) wenden würden und die Brexit-Hardliner für die neue Brexit-Partei stimmen könnten, die jetzt noch nicht im britischen Parlament vertreten ist. Eine Hoffnung bleibt Johnson: Die EU hat Bereitschaft signalisiert, mit der neuen Regierung Arbeitsbeziehungen aufzunehmen. Vielleicht kann Johnson über einige Änderungen an der (nicht bindenden) Absichtserklärung verhandeln, die dem Austrittsabkommen hinzugefügt wird.
Unterdessen betont die Bank of England (BoE) immer wieder die negativen Folgen eines möglichen Brexit. So sagte ihr Gouverneur Carney neulich, dass die Unsicherheit des Brexit dazu führe, dass die britischen Unternehmensinvestitionen im Vergleich zu den G7-Ländern um 12 Prozent zurückgegangen seien. Derzeit befindet sich das zugrunde liegende Wachstum unter dem Potenzial und hängt stark von den weiter ausgabenfreudigen Privathaushalten ab. Wir glauben nicht mehr, dass die BoE noch mit einer Zinserhöhung plant. Ob sie eine Zinssenkung vornehmen wird, hängt vom weiteren Brexit-Verlauf ab. Sollte es zu keiner Einigung kommen, erwartet die BoE Angebots- und Nachfrageschocks, denen sie mit einer Lockerung der Geldpolitik begegnen würde.
Die aktuellen Prognosen der DWS gehen von einem BIP-Wachstum von 1,4 Prozent für 2019 und 1,5 Prozent für 2020 aus, basierend auf unserem Hauptszenario eines Verbleibs in der EU oder eines weicheren Brexit-Szenarios. Die Einkaufsmanagerindizes sind im Juni unter die 50er Marke gefallen, was auf eine langsamere Investitionstätigkeit der Unternehmen hindeutet. Der private Konsum bleibt damit der wichtigste Treiber der Wirtschaft. Längere Unsicherheit wird zu mehr Investitionszurückhaltung und weiterer Wachstumsverlangsamung führen.
Es gibt derzeit kein einziges Szenario, dem wir eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent beimessen würden. Die Situation bleibt im Wesentlichen die gleiche: eine Menge unüberwindlicher Meinungsunterschiede. Trotz historisch relativ attraktiver Bewertungen in einigen Bereichen, spricht das weiterhin dafür, britische Vermögenswerte zu meiden."
Colin Dryburgh, Co-Manager des Kames Global Diversified Growth Fund:
"Angesichts gewisser optischer Ähnlichkeiten zwischen Donald Trump und Boris Johnson könnte man meinen, dass letzterer für das Pfund genauso hilfreich sein könnte wie Trump für den US-Dollar. Es sei ihnen verziehen, dass sie glauben, der US-Dollar wäre aufgrund Trumps jüngster Interventionen stark. Die Wahrheit ist, dass der Dollar auf handelsbereinigter Basis heute nur noch rund 1% höher datiert, als zur Wahl von Trump. Die Schlussfolgerung Boris Johnson könne das Pfund ankurbeln, könnte dementsprechend ähnlich unzutreffend sein.
USA und Großbritannien im Vergleich
Sowohl die Wirtschaft Großbritanniens als auch die der USA haben sich in letzter Zeit relativ gut entwickelt. Die Zentralbanken beider Länder haben jeweils ihren Leitzins erhöht und beide Länder weisen ein Außenhandelsdefizit auf. Doch hier enden leider auch schon die Gemeinsamkeiten. Was auch immer über die USA gedacht wird, die US-Regierung ist stabil und verfolgt eine kohärente Wirtschaftspolitik. Sie ist weit entfernt von dem Durcheinander im Vereinigten Königreich, welches Boris Johnson als Manifest und nicht als Heilung betrachtet.
Die USA sind die wichtigste Volkswirtschaft der Welt. Sie verfügen über die globale Reservewährung und sind zunehmend energieautark (und so können sie allen anderen Bedingungen vorschreiben). Das Vereinigte Königreich ist viel mehr der Großzügigkeit von Fremden verpflichtet und hat eine sehr unsichere Außenperspektive, insbesondere im Hinblick auf die EU.
Brexit und innenpolitische Missstände als Herausforderungen für das Pfund
Trump wird von einer loyalen und soliden Basis gestützt, welche ein zweites positives Wahlergebnis liefern könnte, sofern es weiterhin keine wirklichen Alternativen gibt. Alles, was wir über Boris Johnson wissen, ist, dass er die Unterstützung der regierenden konservativen Partei erhält, die deutlich weniger als 1% der Bevölkerung ausmacht. Die Ukraine hat jetzt einen Komiker als Anführer. Man könnte sich jetzt fragen, ob wir viel besser geworden sind? Und wenn es nicht Boris Johnson geworden wäre, dann wäre es jetzt Jeremy Corbyn, Vorsitzender der Arbeiterpartei. Theresa May hatte ihre Schwächen, aber für Investoren vermittelte sie zumindest den Eindruck, dass nichts Dramatisches geschehen könnte. Weder Boris Johnson noch Jeremy Corbyn vermitteln dieses Gefühl von Stabilität. Schließlich besteht die Herausforderung für das Pfund darin, dass es - wenige Vorteile ausgenommen - nicht billig genug ist, die Risiken sowohl hinsichtlich des Ausgangs des Brexits als auch der innenpolitischen Unsicherheiten zu absorbieren.
Boris Johnson und Donald Trump haben vielleicht ähnliche Frisuren, doch Boris Johnson wird sich wahrscheinlich als viel haarsträubender erweisen!"
Paul O'Connor, Head des Janus Henderson Investors Multi-Asset-Teams:
"The market response has been fairly muted so far, which is not surprising given how widely anticipated this outcome was. The pervasive uncertainty surrounding Brexit has already taken its toll on UK assets and is now somewhat priced in. UK equities have seen sizeable outflows from global investors since the referendum vote in 2016 and speculative positioning in sterling is very negative. If we look to betting markets as a guide to consensus expectations, we see a no-deal Brexit is a one-in-three chance, with investor dread of this being somewhat offset by the view that there is still a one-in-four chance that Brexit is cancelled (Article 50 is revoked). The perceived likelihood of a 2019 general election has been growing in recent months, highlighting another layer of uncertainty surrounding the UK outlook and yet another reason for global investors to stay away.
Growth remains a key concern, with 2019 looking set to be the fourth consecutive year of sub-2% UK GDP growth. Confidence is deteriorating across the construction, manufacturing and services sector and among consumers as well. With the economy looking like it is one stumble away from recession, a policy response is needed. A 2019 interest rate cut seems increasingly likely and a Johnson fiscal stimulus a near certainty. While both of these can help cushion the impact of Brexit-related uncertainty on the economy, a full restoration of confidence seems unlikely until the big issue gets resolved."
"Die anhaltende Unsicherheit um den Brexit ist wohl das schlechteste Ergebnis für britische Vermögenswerte. Wir müssen realistisch sein: Selbst wenn der neu ernannte Premierminister Boris Johnson sein Amt in 10 Downing Street antritt, wird die Unklarheit für das Vereinigte Königreich wahrscheinlich noch so lange anhalten bis die künftigen Handelsbeziehungen geklärt sind. Daher halten wir es für wichtig, dass Anleger bei britischen Vermögenswerten einen sehr selektiven Ansatz verfolgen.
Wir glauben, dass es Kaufgelegenheiten geben dürfte, sobald mehr Klarheit über das Brexit-Ergebnis besteht. Die Ankündigung von Boris Johnson als nächster Premierminister wurde vom Markt weithin erwartet und dürfte daher kaum unmittelbare Auswirkungen haben. Seine Ernennung erhöht jedoch zweifellos die Chancen auf einen harten oder No-Deal Brexit. Dieses Szenario würde voraussichtlich zu einer Abschwächung des Pfund Sterling führen und somit die kurzfristigen Wachstumschancen des Vereinigten Königreichs beeinträchtigen, da UK-gelistete multinationale Unternehmen gegenüber inländischen Akteuren bevorzugt würden. Nach kurzer Zeit werden allerdings Investoren die Situation nutzen und beginnen, nach überverkauften Werten in Großbritannien zu suchen und ihr Exposure zu erhöhen.“